Krisenwirtschaft, Kriegswirtschaft: Wirtschaftssoziologie in Zeiten des Umbruchs

Sommerkonferenz der DGS-Sektion Wirtschaftssoziologie

  • Beginn: 15.06.2023
  • Ende: 16.06.2023
  • Ort: Köln
Krisenwirtschaft, Kriegswirtschaft: Wirtschaftssoziologie in Zeiten des Umbruchs
Die Tagung nimmt die einhergehende Radikalisierung von Unsicherheit zum Anlass zu fragen, welchen Beitrag wir zum Verständnis und zur Bewältigung dieses „Zeitalters der Krisen“ leisten können. Sie möchte sowohl die Potentiale als auch die Grenzen wirtschaftssoziologischer Zugänge zu Krisen und Kriegen ausloten und Anstöße geben, in welche Richtung sich wirtschaftssoziologische Forschung fruchtbar erweitern lässt. Sie lädt dazu ein, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen Krieg und Krise aus wirtschaftssoziologischer Perspektive zu reflektieren.

Die Gegenwart ist durch multiple Krisen gekennzeichnet. Gerade noch hat die Pandemie die globale Ordnung ins Wanken gebracht, ganze Branchen zum Stillstand gezwungen und viele wirtschaftliche Praktiken unmöglich gemacht. Nun erzeugen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sowie die einhergehende Verteuerung von Energie existentielles Leid, ökonomische Not und vernichten etablierte Geschäftsmodelle. Die sich immer stärker abzeichnende Klimakrise macht schließlich eine auf materielles Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsordnung untragbar und führt ökonomische Prognosen ad absurdum. Im Überschneidungsbereich dieser Verwerfungen offenbart sich die enorme Fragilität des gegenwärtigen sozio-ökonomischen Gefüges.

Die Sommertagung der Sektion Wirtschaftssoziologie nimmt die einhergehende Radikalisierung von Unsicherheit zum Anlass zu fragen, welchen Beitrag wir zum Verständnis und zur Bewältigung dieses „Zeitalters der Krisen“ leisten können. Lassen sich die gegenwärtigen Umbrüche überhaupt noch mit etablierten wirtschaftssoziologischen Konzepten erfassen? Welche Analysen, welche Lösungsperspektiven, welche Herangehensweisen und Erklärungsansätze bietet die wirtschaftssoziologische Forschung? Und wo erscheint es sinnvoll, angesichts multipler Krisen unseren disziplinären Blick zu weiten, z.B. zur Wirtschaftsgeschichte oder Politikwissenschaft? Die Tagung soll konzeptionelle und empirische Beiträge aus der Wirtschaftssoziologie und angrenzenden Disziplinen versammeln, die sich mit Krisen, Kriegen und deren Implikationen für die sozio-ökonomische Ordnung auseinandersetzen.

Unsicherheit ist dabei für die Wirtschaftssoziologie kein unbekanntes Motiv.  So ist ein zentraler Befund der Neuen Wirtschaftssoziologie, dass der „ökonomische Normalbetrieb“ zutiefst voraussetzungsvoll ist und marktliches Handeln nur gelingen kann, wenn Unsicherheit durch geeignete Institutionen und soziale Einbettung reduziert wird. Doch inwiefern trägt dieses wirtschaftssoziologische Verständnis von Unsicherheit überhaupt noch für eine Krisenwirtschaft, in welcher der „ökonomische Normalbetrieb“ in weite Ferne gerückt ist? Oder für eine Kriegswirtschaft, in der es nicht mehr um Konkurrenz, sondern um Feindschaft, nicht mehr um schöpferische, sondern tatsächliche Zerstörung geht? Die Tagung möchte sowohl die Potentiale als auch die Grenzen wirtschaftssoziologischer Zugänge zu Krisen und Kriegen ausloten und Anstöße geben, in welche Richtung sich wirtschaftssoziologische Forschung fruchtbar erweitern lässt.

Die Diskussion beider Phänomene in einem gemeinsamen Kontext zielt keinesfalls darauf, Krieg und Krise gleichzusetzen. Wohl aber möchte die Tagung dazu einladen, Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen Krieg und Krise aus wirtschaftssoziologischer Perspektive zu reflektieren. Inwiefern bedingen Krisen und Kriege sich gegenseitig? Und wie verhalten sie sich jeweils zum ökonomischen Normalbetrieb einer sozialen Marktwirtschaft? Von besonderem wirtschaftssoziologischen Interesse sind vor diesem Hintergrund auch Wirtschaftskriege, d.h., eine Form der Kriegführung, bei der geopolitische Konflikte mit wirtschaftlichen Mitteln ausgetragen werden. Wie lassen sich empirisch-historische Prozesse einer Mobilisierung der Wirtschaft im Kontext von Krieg und polyvalenten Krisen fassen?

Wir freuen uns sowohl über konzeptionelle als auch empirische Beiträge, die sich mit aktuellen oder historischen Entwicklungen auseinandersetzen. Diese könnten sich beispielsweise entlang folgender Fragen orientieren:  

  1. Wie verändern Krisen und Kriege das Verhältnis von Staat und Ökonomie? Sehen wir wirklich eine Wiedererstarken des Staates und, wenn ja, wodurch ist es geprägt? Wieviel staatliche Intervention ist nötig, um bestehende Krisen zu überwinden oder kommende Krisen abzuwenden?
  2. Wie werden Umbrüche von der Makroebene auf die Mikroebene übersetzt, wo zeigen sie sich in veränderten Wirtschaftspraktiken? Mit welchen Strategien reagieren Arbeitnehmer:innen, Konsument:innen und Unternehmer:innen auf zunehmende Unsicherheiten? Wie gelingt es Akteuren trotz Krisen, den wirtschaftlichen „Normalbetrieb“ aufrechtzuerhalten? 
  3. Inwiefern und bei welchen Gruppen tragen Krieg und Krisen zu einem ökonomischen Umdenken bei? Erleben wir einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel? Wo macht er sich bemerkbar und wie sieht er aus? Oder wodurch wird er verhindert?
  4. Welche Konsequenzen haben Umbrüche für Machtpositionen und Ungleichheit? Welche ökonomischen Akteure profitieren von Krisen und Wirtschaftskriegen? Wer wird schlechter gestellt? Wem wird die Schuld für Krisen zugeschrieben?
  5. Welche Rolle spielen meist unhinterfragte (ökonomische) Infrastrukturen (z.B. Geld, Eigentum, Energie, Wissen, Kommunikation) im Kontext von Krieg und Krise? Welchen Beitrag können Infrastrukturen zur Lösung von Krisen leisten?

Die Tagung wird vom 15. bis 16. Juni 2023 am MPIfG stattfinden. Die grundlegende Veranstaltungssprache ist Deutsch, einzelne Beiträge in englischer Sprache sind jedoch herzlich willkommen.

Die Auswahl der Beiträge erfolgt auf Grundlage der eingereichten Exposés. Diese sollen auf maximal einer Seite die Grundargumentation des Beitrags deutlich machen. Deadline für Einreichungen ist der 26. März 2023.

Bitte senden Sie Ihren Vorschlag unter Angabe Ihres Namens, Ihrer Institution und Ihrer E-Mail-Adresse an den Vorstand der Sektion Wirtschaftssoziologie (sarah.lenz@uni-hamburg.de, lisa.suckert@mpifg.de, uwe.vormbusch@fernuni-hagen.de).

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