Die Auswirkungen des neuen Paradigmas der Verwundbarkeit auf Streitkultur und Wissenschaftsfreiheit
Maria-Sibylla Lotter | Ruhr-Universität Bochum
In den letzten Jahrzehnten wurde das Bild des Menschen als autonomes Subjekt zunehmend durch die Betonung seiner Verwundbarkeit abgelöst. Auch Fragen der sozialen Gerechtigkeit werden in akademischen Kontexten immer häufiger in der Sprache einer gruppenspezifischen Vulnerabilität formuliert. Das hat dazu geführt, dass wissenschaftliche Debatten verhindert werden, weil sie sich möglicherweise schädlich auf vulnerable Gruppen auswirken könnten. Im Vortrag wird anhand von Beispielen dargestellt, welche Auswirkungen dieser Verschiebungen auf die Streitkultur an Hochschulen und die Wissenschaftsfreiheit haben: So werden Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen teilweise nicht mehr als Interessenkonflikte thematisiert, sondern als (potenzielle) Verletzungen einer besonders schutzbedürftigen Gruppe durch eine weniger schutzbedürftige. Auch sachliche Kritik kann in bestimmten Kontexten als illegitimer Angriff empfunden werden.