Lukas Haffert
Oberassistent am Lehrstuhl für Schweizer Politik und Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Zürich
So ganz wusste ich nicht, was mich am MPIfG erwarten würde, als ich 2010 als Doktorand an der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) begann. Ich hatte in Münster und St. Gallen Volkswirtschaftslehre studiert, und zwar nur Volkswirtschaftslehre, also Mikro I bis V und Makro I bis V, mit entsprechend wenigen Blicken in benachbarte Disziplinen. Dass auch Soziologie und Politikwissenschaft sich mit der „Verfasstheit der Ökonomie“ beschäftigen, erschien mir spannend, aber ich hatte allenfalls eine vage Vorstellung davon, wie sie das tun.
Insofern war das erste Jahr in Köln für mich ein ziemlicher Augenöffner. In den „Economy and Society“-Kursen bei Wolfgang Streeck und Jens Beckert und in vielen Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen an der IMPRS-SPCE wurde ich im Schnelldurchgang zum breiter denkenden Sozialwissenschaftler weitergebildet. Dass so ein Fachwechsel nie vollständig abgeschlossen ist, merke ich manchmal noch heute, etwa wenn Kollegen darüber berichten, wie ein politikwissenschaftliches Thema in ihrem Studium behandelt wurde. Dann lerne ich immer noch viel dazu.
Promoviert habe ich über die politische Ökonomie von Haushaltsüberschüssen, was sich als ziemlicher Glückstreffer er-wies. Als ich meine international vergleichende Dissertation, in der Schweden, Kanada und Australien die Hauptrolle spielten, 2014 verteidigte, erzielte die Bundesrepublik ihren ersten Haushaltsüberschuss – die „schwarze Null“ war geboren. Damit hatte mein Thema eine Aktualität, die ein über den engen Kreis des Faches hinausgehendes Inter-esse weckte. Durch Vorträge und Publikationen hatte ich so die Gelegenheit, Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation zu sammeln – und zu erleben, wie irreführend die Vorstellung von der Wissenschaft als Sender und der Öffentlichkeit als Empfänger ist. Bei fast jedem meiner Vorträge habe ich etwas vom Publikum gelernt. Mir schien aber auch, dass die wenigsten Menschen sich für sozialwissenschaftliche Ergebnisse interessieren, weil sie diese einfach spannend finden. Wer sich für unsere Arbeit interessiert, bringt häufig bereits eine eigene Meinung zum Forschungsthema mit und sucht nach wissenschaftlicher Bestätigung. Das finde ich auch gar nicht problematisch: Auch so können wissenschaftliche Argumente die Qualität einer öffentlichen Debatte verbessern.
Nach der Verteidigung meiner Dissertation ging ich für ein Jahr als Max Weber Fellow ans Europäische Hochschulinstitut in Florenz, bevor ich 2015 als Oberassistent zu Silja Häusermann an den Lehrstuhl für Schweizer Politik und Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Zürich wechselte, wo ich noch heute arbeite. Staatsfinanzen beschäftigen mich dort weiterhin, etwa in einem gemeinsamen Projekt mit meinem Doktorandenkollegen Daniel Mertens, der mittlerweile in Osnabrück lehrt. Neuerdings untersuche ich aber auch vermehrt Fragen der politischen Geografie, ein Thema, bei dem mir zum Beispiel die MPIfG-Alumni Philip Manow und Armin Schäfer immer wieder begegnen. Unter anderem habe ich mich ausführlich mit der Frage beschäftigt, warum Katholikinnen und Katholiken in Münster oder Köln sehr viel seltener die AfD wählen als in Bayern: Es handelt sich dabei zumindest teilweise um ein spätes Erbe des Kulturkampfs.
»Durch Vorträge und Publikationen konnte ich Erfahrungen in der Wissenschaftskommunikation sammeln und erleben, wie irreführend die Vorstellung von der Wissenschaft als Sender und der Öffentlichkeit als Empfänger ist.«
Seit 2018 bin ich außerdem Mitglied der Jungen Akademie, deren Sprecher ich 2020/21 war. In einer fachlich sehr bunten Gruppe von fünfzig jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (das Wort „Nachwuchs“ ist verpönt), die jeweils für fünf Jahre aufgenommen werden, beschäftigen wir uns mit interdisziplinären Forschungsprojekten, Wissenschaftspolitik und dem Austausch von Wissenschaft und Gesellschaft. In der Jungen Akademie ist Wissenschaft ein bisschen so, wie sie sonst nur in PR-Broschüren erscheint: ein Raum, um Neues auszuprobieren, dabei Fachgrenzen zu überschreiten, auch mal zu scheitern, aber auch aus Projekten, die nicht klappen, etwas zu lernen.
Die Frage „Was macht eigentlich ein Postdoc?“ wäre nicht umfassend beantwortet ohne Blick auf den Arbeitsmarkt: Ich bin natürlich auf der Suche nach einer festen Stelle, was viel Zeit und oft auch eine hohe Frustrationstoleranz erfordert. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen nehmen deshalb Stellen im nichtdeutschsprachigen Ausland an. Ich habe mich jedoch gegen diesen Weg entschieden.
In meiner Forschung möchte ich mich in den nächsten Jahren noch stärker der Verknüpfung von politischer Geografie und politischer Ökonomie widmen. Regionale Unterschiede im politischen Verhalten drängen gerade mit Macht auf die Agenda der Politikwissenschaft. Mir scheint, eine politökonomische Perspektive kann dort noch wichtige Anstöße liefern.