Politische Steuerung in komplexen Systemen
Der Politikwissenschaftler und langjährige Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Fritz W. Scharpf wird 90 Jahre alt
Fritz W. Scharpf hat mit seinen Arbeiten zum Föderalismus, zur Europäischen Union, zur Demokratietheorie sowie auf den Gebieten der Verwaltungs- und Policy-Forschung die deutsche Politikwissenschaft seit den 1970er-Jahren maßgeblich geprägt. Als Direktor leitete er von 1986 bis 2003 das Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Am 12. Februar 2025 feiert er seinen 90. Geburtstag.

Fritz W. Scharpf gilt als ein Leuchtturm der deutschen Politikwissenschaft. Er hat erheblich zur Sichtbarkeit und Anerkennung des Faches national wie international beigetragen, seine Schriften gehören zu den meistzitierten Werken deutscher Politikwissenschaftler. Durch seine Mitwirkung in verschiedenen Kommissionen fand seine Forschung seit den Siebzigerjahren immer wieder Eingang in die Politikberatung. Auch mit 90 Jahren ist Fritz W. Scharpf weiterhin wissenschaftlich aktiv.
Scharpfs Forschungsspektrum ist beeindruckend breit: So führte er grundlegende vergleichende Studien zu Inflation, Arbeitslosigkeit und Krisenpolitik in Westeuropa durch und analysierte die politische Ökonomie des Wohlfahrtsstaates unter den Bedingungen der Globalisierung. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, zuletzt vor allem der Eurokrise. Wegweisend waren seine Arbeiten zur Politikverflechtung und zur Mehrebenen-Governance in der Europäischen Union. Insbesondere seine Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimität prägte die Debatte über demokratische Legitimation in der EU nachhaltig.
Scharpfs Arbeiten strahlen in hohem Maße in Nachbardisziplinen aus, seine Analysen werden in Soziologie, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften rezipiert. Interdisziplinär angelegt war etwa die Zusammenarbeit mit der Soziologin und Ko-Direktorin am MPIfG Renate Mayntz. Gemeinsam entwickelten sie in den 1980er- und 1990er-Jahren die theoretischen Grundlagen des „akteurzentrierten Institutionalismus“. Dieser Ansatz, der die Wechselwirkungen zwischen institutionellen Strukturen und dem strategischen Handeln politischer Akteure in das Zentrum des Interesses rückt, wurde zu einem Meilenstein der soziologischen wie politikwissenschaftlichen Steuerungs- und Governance-Forschung. In seinem einflussreichen Werk Games Real Actors Play (1997) arbeitete Scharpf diese Theorie systematisch aus und zeigte unter Einbeziehung spieltheoretischer Elemente, wie politische Ergebnisse aus dem Zusammenspiel von Akteursstrategien und institutionellen Rahmenbedingungen entstehen.
Scharpf ist nicht nur ein herausragender Theoretiker, sondern auch ein Wissenschaftler, der aktiv den Transfer politikwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis betrieb. Er brachte seit den 1970er-Jahren immer wieder seine wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Politikberatung ein, zuletzt als Mitglied der Kommission zur Reform der bundesstaatlichen Ordnung (2003–2004).
1986 wurde Fritz W. Scharpf Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in Köln, das er bis zu seiner Emeritierung 2003 leitete. Zunächst führte er das Institut zusammen mit Gründungsdirektorin Renate Mayntz, die 1997 emeritiert wurde, ab 1995 auch zusammen mit dem Soziologen Wolfgang Streeck. Unter ihrer gemeinsamen Ägide wuchs das Institut zu einem interdisziplinären und internationalen Zentrum zur Erforschung der sozialen und politischen Grundlagen moderner Gesellschaften heran.
Fritz W. Scharpf – Kurzvita
Geboren 1935 in Schwäbisch Hall, Studium der Rechts- und Politikwissenschaften an den Universitäten Tübingen und Freiburg im Breisgau (Erstes Juristisches Staatsexamen 1959, Zweites Juristisches Staatsexamen und Promotion [Dr. iur.] 1964). Erste Forschungstätigkeiten als Assistent Professor of Law an der Yale University. 1968 Habilitation an der Universität Freiburg im Breisgau.1968 Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz. 1973 bis 1984 Direktor am Internationalen Institut für Management und Verwaltung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Von 1986 bis zur Emeritierung 2003 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG), Köln.
Ausländische Lehrtätigkeiten: Stanford University, Europäisches Hochschulinstitut Florenz, Sciences Po Paris.
Für sein herausragendes wissenschaftliches Lebenswerk erhielt Fritz W. Scharpf 2024 den Lebenswerkpreis der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) sowie 2007 den Lifetime Contribution Award in Europawissenschaften der European Union Studies Association (EUSA). 2002 wurde Scharpf mit dem Preis der Schader-Stiftung ausgezeichnet. 2000 gewann er als erster Deutscher den renommierten Johan-Skytte-Preis. Er ist Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für seine Transferleistungen zwischen Forschung und Praxis.