Klimaschutz mit Gewinn

Jens Beckert

13. September 2024

Standpunkt

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist bekannt, wie der CO2-Ausstoß das Klima verändert. Dennoch schafft es die Weltgemeinschaft nicht, ihn mit der nötigen Konsequenz zu senken. Warum das so ist und wie sich das ändern lässt, sind Fragen der Sozialwissenschaft, wie der Wirtschaftssoziologe Jens Beckert ausführt. Der Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung skizziert zudem, wie erfolgreiche Klimapolitik gestaltet sein könnte.

Im Jahr 1988 warnte der NASA-Wissenschaftler James Hansen vor dem US-Kongress eindringlich vor der menschengemachten globalen Klimaerwärmung. Mit seiner Stellungnahme brachte Hansen die Gefahren des Klimawandels in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Wenige Jahre später wies Klaus Hasselmann, der am Aufbau des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie maßgeblich beteiligt war, mit statistischen Methoden erstmals den Einfluss der Menschheit auf das Klima nach. 2021 erhielt er dafür den Physik-Nobelpreis. Nun sind über drei Jahrzehnte vergangen, seit die Bedrohung durch den Klimawandel bekannt wurde. In dieser Zeit hat sich der jährliche globale Ausstoß von Treibhausgasen aus der Verbrennung fossiler Energieträger jedoch nicht etwa verringert, sondern ist noch einmal um etwa zwei Drittel angestiegen. Zugleich erhöhte sich die globale Durchschnittstemperatur bis heute um knapp 1,2 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, im vergangenen Jahr wurde erstmals ein Anstieg um fast 1,5 Grad gemessen. Die Welt steuert beinahe ungebremst auf eine erhebliche weitere Klimaerwärmung zu.

Laut Prognosen der Vereinten Nationen und der Internationalen Energieagentur wird die Temperatur bis zum Ende des Jahrhunderts wohl um insgesamt 2,5 Grad, möglicherweise sogar um 3 Grad Celsius ansteigen. Die Folgen lassen sich zwar allgemein beschreiben, die konkreten Auswirkungen auf einzelne Gesellschaften hingegen lassen sich nicht exakt vorhersagen: Extremwetterereignisse werden zunehmen, Niederschlagsmuster werden sich verändern, Infektionskrankheiten werden sich verbreiten und dicht bevölkerte Küstenregionen sind durch einen steigenden Meeresspiegel gefährdet. Die rapide Destabilisierung natürlicher Lebensbedingungen wird beträchtliche ökonomische Schäden verursachen, soziale und politische Spannungen verschärfen und zu erheblichem Leid vieler Menschen führen.

Der prognostizierte weitere Temperaturanstieg ist nicht mehr aufzuhalten – nicht zuletzt, weil bei einer jährlich um 3 Prozent wachsenden Weltwirtschaft und angesichts wirtschaftlicher, politischer und kultureller Strukturen, die auf Kontinuität und weiteres Wachstum ausgerichtet sind, immer mehr Energie benötigt wird. Die notwendige Transformation der Energieversorgung ist zwar in Gang gesetzt, vollzieht sich jedoch viel zu langsam, um die Verbrennung fossiler Energieträger in den nächsten Jahrzehnten zu ersetzen. Fortschritte bei der Energieeinsparung und der Ausbau erneuerbarer Energien bleiben weit hinter dem Erforderlichen zurück. Auch wenn in Deutschland der steigende Anteil der Erneuerbaren am Strommix bejubelt wird: Weltweit werden nur zwei Prozent des Primärenergieverbrauchs durch Wind- und Solarenergie gedeckt. Und auch in Deutschland sind fast 80 Prozent der verwendeten Primärenergie fossil. Bevölkerungsreiche Länder wie Indien, Indonesien oder Nigeria stehen in den Startlöchern ihrer weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und werden dafür in hohem Maße auf Kohle, Öl und Gas zurückgreifen.

»Es ist Wunschdenken, die Pariser Klimaziele noch für erreichbar zu halten.«

Zwar ist es durchaus vorstellbar, dass es irgendwann in der Zukunft eine weitgehend defossilisierte Energieversorgung geben wird. Die Transformation wird jedoch weit längere Zeiträume brauchen, als es die in Paris vereinbarten Klimaziele zulassen. Wenn – wie erwartet – der Höchststand bei der Verbrennung fossiler Energieträger am Ende dieser Dekade erreicht sein sollte, werden selbst bei Umsetzung der bestehenden Pläne zur Energiewende noch bis in die Mitte des Jahrhunderts so große Mengen an Öl, Gas und Kohle verbrannt werden, dass der durch sie verursachte Treibhausgasausstoß nur um ungefähr ein Viertel zurückgehen wird – so die Internationale Energieagentur.

Dies sind ernüchternde Zahlen. Was folgt daraus? Zunächst einmal: Sie sind anzuerkennen. Es ist Wunschdenken, die Pariser Klimaziele noch für erreichbar zu halten. Ein Wunschdenken, das zwar verständlich ist, das uns aber auch den Blick verstellt für das, was nötig ist. Denn das Schielen darauf, dass am Ende doch immer noch alles gut gehen wird, ist Zeitvergeudung. Es lenkt von der offensichtlichen Herausforderung ab: Gesellschaften müssen sich darauf vorbereiten, mit den Folgen der kommenden weiteren Klimaerwärmung umzugehen. Es muss in Infrastrukturen investiert werden, die Lebensbedingungen stabilisieren, wenn die Folgen des Klimawandels sich immer kraftvoller zeigen werden. Sei es der Hochwasserschutz, die Begrünung von Städten, der Ausbau des Katastrophenschutzes, die Umstellung der Landwirtschaft oder der Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen vor zunehmender Hitze während der Sommermonate. Hier sind erhebliche Investitionen in Gemeinschaftsgüter der kollektiven Daseinsvorsorge nötig.

Doch Klimaanpassung erfordert nicht nur den Aufbau resilienter materieller Infrastrukturen. Sie umfasst auch den Aufbau sozialer Resilienz. Wenn Gesellschaften zukünftig vermehrt mit Verlusten umgehen müssen, entstehen politisch konfliktträchtige soziale Spannungen. Wie werden die Verluste verteilt? Wie lässt sich gesellschaftliche Solidarität aufrechterhalten angesichts der Kosten, die aus der zunehmenden „Unzuverlässigkeit der Natur“ entstehen? Die Zeichen an der Wand sagen, dass Klimawandel zu einer bedeutenden weiteren Ursache sozialer Ungleichheit wird und dadurch soziale Konflikte antreiben wird. Der Klimawandel wird damit auch zu einer Herausforderung für die Demokratie, die soziale Spannungen immer weniger durch die Verteilung von Zuwächsen mindern kann. Zu den zunehmenden Spannungen wird auch das Verhältnis zwischen den reichen Industrieländern und dem globalen Süden beitragen. Denn diese Länder werden die Hauptlast der ökologischen Krise zu tragen haben, sie haben weit geringere Mittel, ihre Bevölkerungen zu schützen, und sie tragen keine historische Verantwortung für den Klimawandel.

»Ohne technologischen Fortschritt ist der Klimawandel nicht zu bremsen.«

Mit Klimaanpassung allein ist es allerdings nicht getan. Den zerstörerischen und teuren Folgen des Klimawandels lässt sich nur begegnen, indem dessen Ursachen beseitigt werden. Das Mittel hierfür ist bekannt: Die Verbrennung fossiler Energieträger muss beendet werden, und zwar durch den Ausbau erneuerbarer Energien und die Senkung des Energieverbrauchs. Viele der technologischen Voraussetzungen für die Transformation von Energiesystemen bestehen bereits. Gleichwohl gibt es erheblichen weiteren Forschungsbedarf. Nur durch Forschung lassen sich neue Technologien entwickeln, die Solar- und Windkraft effizienter machen, den Energieverbrauch senken, Rohstoffe in höherem Maß wiederverwendbar machen oder es ermöglichen, CO2 bei der Produktion kostengünstiger abzuscheiden oder der Atmosphäre wieder zu entziehen. Man muss nicht blind an Technologieentwicklung als Deus ex Machina der Lösung der Klimakrise glauben, um zu sehen, dass natur- und ingenieurwissenschaftliche Erkenntnisse vorangetrieben werden müssen, will man den Klimawandel eindämmen. Ohne weiteren technologischen Fortschritt wird der Klimawandel nicht zu bremsen sein.

Doch technologischer Fortschritt allein genügt nicht. Dass die Transformation zu erneuerbaren Energien so langsam vorankommt, liegt ja allenfalls zum Teil an fehlenden Technologien. Vielmehr bleiben die vorhandenen technologischen Möglichkeiten viel zu häufig ungenutzt.

An dem globalen Versagen beim Klimaschutz während der vergangenen drei Jahrzehnte lässt sich genau dies ja erkennen. E-Autos hatten 2022 weltweit einen Anteil von gerade einmal zwei Prozent an der Bestandsflotte. Bei den Neuverkäufen lag ihr Anteil 2023 bei immerhin knapp 16 Prozent. Die Zielmarken des Verbots der Neuzulassung von Verbrennern, soweit überhaupt vorhanden, werden immer wieder verschoben. Der Ausbau erneuerbarer Energien wird durch langwierige Planungsverfahren, hohe Finanzierungskosten, Materialknappheiten und auch durch Widerstände in der Bevölkerung verzögert. Sowohl im globalen Norden als auch im globalen Süden werden immer neue Kohle-, Gas- und Ölvorkommen erschlossen, obwohl bekannt ist, dass diese im Boden bleiben müssten, will man die Erderwärmung aufhalten. Klimaschutzpolitik kann nicht erfolgreich sein, wenn vorhandenes Wissen umgangen wird und technische Möglichkeiten allenfalls zögerlich umgesetzt werden.

Warum Gesellschaften so weit hinter dem technologisch Möglichen zurückbleiben, ist eine sozialwissenschaftliche Frage. Es sind die Sozialwissenschaften, die sich mit den Macht- und Anreizstrukturen beschäftigen, die das Handeln von Unternehmen, Politik, Wählerschaft und Konsumenten bestimmen – auch beim Klimaschutz. Ihre Themen sind der soziale Wandel, die Funktionsweise politischer Prozesse, Dilemmata kollektiven Handelns, die Ursachen und Folgen sozialer Ungleichheit oder auch die Verbreitung neuer Technologien. Nur aus der genauen Kenntnis der sozialen Mechanismen, die den Umgang mit der Klimakrise bestimmen, lassen sich politische Entscheidungen ableiten, die möglicherweise zu effektiverem Klimaschutz führen.

Der Blick der Sozialwissenschaften lässt erkennen, wie Unternehmen sich an ökonomischen Anreizen orientieren und bestehende profitable Geschäftsmodelle verteidigen, solange die Kosten der damit verbundenen Umweltzerstörung externalisiert werden können. Es liegt nicht zuletzt an der Gewinn- und Wachstumsorientierung, dass kapitalistische Wirtschaftssysteme zunächst kostspielige Maßnahmen zum Klimaschutz zu zögerlich ergreifen. Organisationen sind aber auch durch Pfadabhängigkeiten geprägt; vorhandene Organisationsstrukturen, Qualifikationen der Beschäftigten und kulturell geprägte Weltbilder bestimmen die Wahrnehmung von Interessen. Politiker sind nicht bereit, für die Wähler und Wählerinnen kostspielige Entscheidungen zu treffen, wenn deren Nutzen – ein weniger aufgeheiztes Klima – Dekaden entfernt liegt. Bürgerinnen und Bürger schrecken vor den Kosten der Energiewende zurück und verteidigen bestehende Lebensformen gegen Veränderungen. Die Länder des globalen Südens wollen ihren Weg zu mehr Wohlstand gehen – auch wenn dies weitere Treibhausgasemissionen bedeutet. All dies sind sozialwissenschaftliche Themen, einschließlich der Fragen, die auf die politischen und sozialen Voraussetzungen von Veränderungen der bestehenden Handlungsstrukturen zielen.

Will man mit dem Klimaschutz vorankommen, müssen die Mechanismen offengelegt werden, die einerseits zu Blockaden führen, andererseits aber auch verändertes Handeln motivieren können. Ein paar Beispiele. Unternehmen können durch veränderte Anreizstrukturen zur Defossilisierung ihrer Geschäftsmodelle bewegt werden. Dies erfordert regulatorische Maßnahmen oder Subventionen, wie sie in Deutschland etwa für den Umbau der Stahlindustrie geschaffen wurden. Widerstände in der lokalen Bevölkerung gegen Windräder werden geringer, wenn die Menschen vor Ort an den Einnahmen aus der Stromerzeugung beteiligt werden. Ein Klimageld, das einen sozialen Ausgleich für die mit der Energiewende verbundenen Kosten für weniger wohlhabende soziale Schichten schafft, erhöht die Zustimmung für Klimaschutz bei Menschen, deren Skepsis gegenüber Umweltpolitik häufig besonders ausgeprägt ist. Gesellschaften verfügen aber auch über moralische Ressourcen, das heißt, Menschen sind zu neuen Einsichten fähig und bereit, sich für Gemeingüter einzusetzen, auch wenn dies zumindest kurzfristig dem individuellen Nutzen entgegensteht. Dies zeigt sich latent in der großen Zustimmung zum Klimaschutz in Umfragen, konkret in tatsächlichen Verhaltensänderungen, in der Beteiligung an sozialen Bewegungen oder im Engagement für den Klimaschutz in lokalen Initiativen.

Diese Ansatzpunkte genau zu verstehen, kann dazu beitragen, politische Entscheidungen mehr in Einklang mit den Erfordernissen des Klimaschutzes zu bringen. Die Frage, unter welchen Bedingungen wünschenswerte Entscheidungen politisch durchsetzbar sind, ist Gegenstand der Sozialwissenschaften. Ihr Wissen um soziale Prozesse ist eine unverzichtbare Voraussetzung erfolgreicher Klimaschutzpolitik.

(Der Beitrag ist zuerst in MaxPlanckForschung 2/2024 veröffentlicht worden.)

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