„Wir verkaufen die Zukunft für unser gegenwärtiges Leben“

15. Mai 2024

Zeit Online, Krisenpodcast „Auch das noch?“, Petra Pinzler und Stefan Schmitt | Jens Beckert

Im Zeit-Krisenpodcast „Auch das noch?“ stellt sich Jens Beckert, Direktor am MPIfG, den Fragen von Petra Pinzler und Stefan Schmitt. In seinem jüngst erschienenen Buch Verkaufte Zukunft: Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht ergründet er, warum Gesellschaften das Problem des Klimawandels nicht schnell genug in den Griff bekommen und in ihren Anstrengungen zu versagen drohen. Beckert verortet das Problem im Wesen des Kapitalismus: Die Macht- und Anreizstrukturen seien nicht darauf ausgelegt, angemessen auf das Problem des Klimawandels zu reagieren. Als Beispiel nennt er die CO2-Bepreisung, die weltweit bei maximal 20 Prozent liege und damit völlig ungeeignet erscheint, einen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu leisten. Auch neuere technologische Entwicklungen wie CO2-Filteranlagen könnten das Problem kaum lösen, da sie zu teuer und nicht effektiv genug seien. Letztlich sei es ein Fehler, bei der technologischen Lösung des Problems auf die Innovationskraft des Kapitalismus zu vertrauen, da dies von der eigentlichen Notwendigkeit ablenke: die Verbrennung fossiler Ressourcen radikal und schnellstmöglich zu reduzieren. Einen De-Growth-Kapitalismus, wie er derzeit diskutiert wird, kann sich Beckert allerdings auch nicht vorstellen, denn das System sei strukturell auf Wachstum angelegt, es basiere auf dem Immer-Mehr-Prinzip, und zwar in allen Bereichen. Das Fazit klingt wenig hoffnungsvoll: Wir verkaufen die Zukunft für unser gegenwärtiges Leben, für unsere Gewinne, für den Konsum, auch für aktuelle politische Mehrheiten. Das Gemeingut Natur wird für den kurzfristigen Nutzen, den wir daraus ziehen, verkauft. So wird die Klimaerwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts kaum aufzuhalten sein, die notwendige radikale Reduktion des CO2-Ausstoßes wird ausbleiben. Als gangbarer Weg bleibe nur die Anpassung an eine veränderte Lebensumwelt. Auf die Frage nach den verbleibenden Optionen fordert Beckert zunächst, dass das Thema politisch und gesellschaftlich viel ernster genommen werden müsse, als dies im aktuellen politischen Diskurs der Fall sei. Gleichzeitig verweist er aber auch auf etwas, das zunächst paradox erscheinen mag: die Unvorhersehbarkeit der Zukunft, die möglicherweise positive politische und gesellschaftliche Entwicklungen in sich birgt, die heute noch nicht absehbar sind, sich aber schon bald als viel bedeutsamer erweisen könnten. Dies sei allerdings kein rational begründbares Argument, sondern eher Ausdruck magischen Denkens, räumt Beckert ein.
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